Sommerloch I: IT-Kompetenz

Gestern bzw. vorgestern fiel mir das erste richtige Sommerlochthema in den Nachrichten auf: die EDV-Kenntnisse von Azubis seien zu schlecht - so zumindest die Aussage von "rund 200 Personalverantwortlichen". Die wichtigsten “IT-Fertigkeiten” wären “Textverarbeitung” (63%), “Tabellenkalkulation” (47%) und “Umgang mit dem Internet” (47%). Aha, bitte nur nicht zu spezifisch, gerade beim letzten Punkt.

Dieses Sommerloch-Thema hat ja offenbar alles, was man braucht: möglichst unspezifische Erkenntnisse und eine Personengruppe (Azubis aka “die Jugend von heute”), von der man ja schon immer gewußt hat, daß sie faul ist:

Die Hälfte aller Auszubildenden zeigt demnach nach Einschätzung der Befragten keine Motivation, diese Defizite eigeninitiativ abzubauen.

Und sowieso viel schlimmer ist, als wir früher waren. So bringt man es dann als Schlagzeile auf die Titelblätter und als Endlosschleife in die Fernsehnachrichten.

Die selbstkritische Feststellung, daß die eigenen IT-Schulungen meistens nicht vorhanden sind, fällt bei dieser Berichterstattung (fast) unter den Tisch.

Herzallerliebst nehmen sich allerdings die Maßnahmen aus, die die Auftraggeber dieser Studie, nämlich die Initiative IT-Fitness1) laut ihrer Pressemitteilung vorhaben: mit dem Projekt “fIT-Box” soll den künftigen Azubis an vierzig Pilotschulen mit Hilfe einer(sic!) didaktisch aufbereiteten Unterrichtstunde die Bedeutung von IT näher gebracht werden. Wie dann die Fortsetzung aussehen soll, wird nicht verraten. Wenn schon nicht die Geräteausstattung fehlt, dürfte es spätestens an qualifizierten Lehrern im entsprechenden Umfang mangeln.

Natürlich wäre auch noch interessant, wie genau die beanstandeten Defizite bei Textverarbeitung und Tabellenkalkulation aussehen und ob diese vielleicht ihren Ursprung in einem Mangel in der mathematischen und sprachlichen Ausbildung haben.

Keine Frage: fortgeschrittene Kenntnisse im Umgang mit EDV oder IT sind inzwischen eine Kulturtechnik, die für eine erfolgreiche Lebensgestaltung quasi notwendig ist, egal ob jetzt im privaten oder beruflichen Umfeld. Die Schule sollte zumindest Grundkenntnisse vermitteln - dafür sind aber hinreichend viele qualifizierte Lehrer, eine entsprechende Geräteausstattung und nicht zuletzt Unterrichtszeit notwendig. Diese zu vermittelnden Grundkenntnisse bestehen auch nicht - wie leider allzu oft - im Training zur Bedienung einer spezifischen Anwendung, sondern im Erlernen von Konzepten: also keine Klickanleitung für Word, sondern Abbildung der Textstruktur in der Dokumentstruktur, dh. nicht nur optische, sondern auch logische Auszeichnung von Überschriften etc. Gerade in Hinblick auf die ernsthafte Verfolgung des letzten Punkts habe ich bei den Teilnehmern von IT-Fitness meine Zweifel, ist doch ein Vendor-Lock-In nicht selten eine Marktstrategie.

Die Blätteransammlung mit den vier großen Buchstaben, fasst übrigens die Meldung mal wieder in der ihr eigenen Art zusammen:

Klartext: Die Hälfte aller Lehrlinge ist zu doof für die Arbeit mit Informationstechnik (IT).

Und die eigenen Leser sind offenbar zu doof, die Abkürzung IT zu kennen.

Update 17.08.2007:

Meine Bedenken ob der Teilnehmer an IT-Fitness waren wohl nicht so ganz unberechtigt: ein Blick auf die Qualifizierungsangebote zeigt, daß gerade die Materialien von Microsoft nur verwendbar sind, wenn man auch Microsoft-Software einsetzt - honi soit, qui mal y pense.

Update 18.08.2007:

Das obige ist nicht nur mir aufgefallen, sondern auch dem Linux-Verband. (via golem)

Update 19.08.2007:

Nachdem derzeit in dasr der IT-Fitness-Test für großes Amusement sorgt, habe ich mir das Ding auch mal angesehen. Was auch immer damit gemessen wird, “IT-Fitness” ist es nicht - bestenfalls Microsoft-Fitness … der überwiegende Teil der Fragen folgt tatsächlich dem Muster “Wo müssen Sie klicken, wenn …” mit einigen verschwurbelt formulierten Fragen zur Funktion von Computernetzen et al. Die Testauswertung ist auch recht unbrauchbar, da man nicht mitgeteilt bekommt, wo genau man Fehler machte. Also wieder eine Initiative, der man nicht mehr zuhören muß.

Update 21.10.2007:

Zur Zeit schlägt sich Beat Doebeli mit der IT-Fitness herum und auf nicht gerade begeistert.

1)
ua. Microsoft und Cisco

Discussion

Britta, 2007-08-15 22:45

Hey, Skandal… wieso wurde mein Kommentar zensiert? War er zu BILD-freundlich?

Stephan Rosenke, 2007-08-15 23:32

Welcher Kommentar? Wann hast Du ihn denn zu Protokoll gegeben?

Britta, 2007-08-19 21:47

Wann? Ich schätze mal, 14.8.

Na dann noch mal die Kurzfassung ohne Sprachwitz und feinste Ironie (oder so). Stephan, Du zwingst mich, die BILD in Schutz zu nehmen. Dass die IT abkürzen, ist eine journalistische Grundregel: Abkürzungen gehen im Text nur in Ordnung, wenn man sie beim ersten Mal in Klammern hinter die ausgeschriebene Fassung setzt. Kann man ausnahmsweise also mal nicht meckern.

Oder bin jetzt ich doof und weiß auch nicht, was IT ausgeschrieben bedeutet?

Stephan Rosenke, 2007-08-19 23:08

Ich habe die Logs durchgesehen und für den 14.08. nichts gefunden, was nach dem Absetzen eines Kommentars ausgesehen hat … entweder Softwareproblem oder Du hast geträumt. :-)

“Zensiert” wird nur in erheblichen Fällen, selbst das In-Schutz-Nehmen der Blätteransammlung mit den vier großen Buchstaben fällt nicht darunter.

Eine ausgeschriebene Angabe einer Abkürzung ist eine richtige und sinnvolle Sache, die auch und gerade bei barrierefreier Gestaltung von Texten im Web zu Recht gefordert wird.

Jedoch gibt es nun mal auch einige Abkürzungen, die im allgemeinen Sprachgebrauch so geläufig sind respektive sein sollten, daß eine Auflösung nicht stattfindet. Als Beispiele fallen mir da ein: usw., z. B., Dr. oder auch BKA, BND und andere Drei-Buchstaben-Organisationen. Daneben gibt's dann auch noch Akronyme, die gar nicht mehr als solche wahrgenommen werden, beispielsweise Radar. Jene Blätteransammlung generiert ja darüberhinaus auch noch eigene Abkürzungen, die auch nicht mehr erklärt werden: BamS wäre da ein Beispiel.

Insgesamt wäre es mal interessant zu schauen, welche Akronyme in jener Blättersammlung denn aufgelöst werden - mir fällt es halt etwas schwer, bei ihr von den Standards guter journalistischer Praxis auszugehen.

Britta, 2007-08-20 21:08

Also so viel zu “IT” und ob man es ohne Erklärung verwenden sollte: Ich habe mal in einer Redaktion gearbeitet, da konnten auch nicht alle was mit dieser Abkürzung anfangen, als ich sie in eine Schlagzeile nahm… und wenn's nicht mal die Schreiberlinge wissen, dann empfiehlt sich schon das Ausschreiben, würde ich sagen.

Ne, geträumt habe ich das sicher nicht, dass ich den Kommentar geschrieben habe. Wer weiß, was da wieder in den Funk-Untiefen usw. verloren gegangen ist. Egal. Dann eben keine Zensur ;)

users/rosenke/blog/20070814-sommerloch_i_it-kompetenz.txt · Last modified: 2007-10-21 16:07 by rosenke
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